Die Seenlandschaft von Ounianga ist weltweit einzigartig, denn die Sedimente der Seen beherbergen die klimatischen Veränderungen der letzten 10.500 Jahre. Aber nicht nur sie erzählen, wie es früher einmal war, welche Tiere und Pflanzen existierten, ob es Naturkatastrophen gab und, ob Menschen hier siedelten. Weit oberhalb des heutigen Seeniveaus können die Wissenschaftler aus den Sedimenten im Gestein die Geschichte der Klimaveränderung nachlesen.
Stefan Kröpelin und sein Kollege Baba Mallaye haben ein Ziel: Sie wollen die Seen und ihre Geschichte erforschen, die Seen schützen und für die Menschheit erhalten.
Deshalb finden unter der Leitung von Stefan Kröpelin regelmäßig Expeditionen nach Ounianga statt. Wochenlang untersucht er gemeinsam mit seinem fünf bis zehnköpfigen Team aus verschiedenen Ländern und Fachgebieten die Geschichte des Klimawandels. Dafür nehmen sie Proben und ziehen bis zu 16 Meter lange Bohrkerne aus den Ablagerungen in den Seeböden.
In seinen Tagebüchern hält Stefan Kröpelin seine Eindrücke und Erlebnisse fest. Lesen Sie mit und erfahren Sie mehr über die körperlichen und logistischen Herausforderungen dieser Expeditionen mitten in der Wüste, ohne Anbindung an Strom, Wasser, Telefon oder medizinische Versorgung.
Köln – Paris - N’Djamena. 2-mal umsteigen und eine Reisedauer von 10 Stunden. Jeder hat 50 Kilo privates Reisegepäck dabei. Dazu kommen viele Kisten mit mehreren hundert Kilo Ausrüstungsgeräten.
Endlich! Ankommen in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena nach langen intensiven Wochen der Vorbereitung. Es ist heiß. 40 Grad Lufttemperatur und 30 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Wie immer holt uns mein Freund und Kollege Baba Mallaye ab und bringt uns ins Hotel. Für die nächsten Wochen werden das unsere letzte Duschmöglichkeit und die letzten Nächte in einem Bett sein. Nur noch eine Woche Zeit, um alles zu erledigen und einige offizielle Besuche wahrzunehmen.
Was erwartet uns auf dieser Expedition? Wird alles so laufen wie geplant? Mir gehen viele Dinge durch den Kopf. Meine Anspannung wächst und ich freue mich, wieder hier zu sein.
Eine Expedition vorzubereiten bedeutet viel Arbeit. Was braucht man alles um sechs Wochen lang in der Wüste zu forschen? Proviant für die Mannschaft, Medikamente, tausende Liter Sprit, hunderte Liter Trinkwasser, Satelliten-geräte, Computer, Messgeräte, einige Ersatzreifen und -schläuche, Ersatzteile … Die Packliste ist lang! Alles muss gut auf den Dächern und in den Jeeps verstaut werden. Die nächsten Wochen gibt es keine Einkaufsmöglichkeit mehr. Was wir jetzt vergessen, fehlt uns.
Der Moment wenn man losfährt, ist der schönste Moment.
Tausende Kilometer Weg liegen vor uns. Davon nur wenige Hundert Kilometer auf befestigten Straßen. Die erste Zeit sind wir auf Pisten unterwegs. Menschen, Kamele und Esel mitten auf der Bahn. Staub wirbelt auf und beeinträchtigt ganz stark die Sicht. Zu gefährlich! Wir fahren deshalb abseits neben der Piste. Der Weg ist zwar beschwerlicher und länger, dafür aber sicherer. Zwei, drei Orte durchqueren wir noch. Im letzten größeren Dorf genießen wir eine letzte, lauwarme Cola.
Keine Spur, keine Piste mehr. Wir fahren über Dünen, bleiben immer wieder im Sand stecken. Bis zu 30 mal am Tag müssen wir die Fahrzeuge freischaufeln. Bei über 50 Grad ist das eine körperlich sehr schwere Arbeit. Die Fahrt ist anstrengend aber auch faszinierend, die Landschaft unberührt. Menschen treffen wir hier so gut wie keine mehr.
In dieser verlassenen Gegend sind wir nun auf uns selbst angewiesen. Manchen macht die Hitze zu schaffen. Aber meine größte Sorge ist, dass sich jemand ernsthaft verletzt oder krank wird. Hilfe holen ist kaum möglich. Das würde Tage dauern.
Mein Motto: wenn alle gesund zurückkehren war die Expedition erfolgreich - hoffentlich ist das auch dieses Mal so!
Kaum vorstellbar: Vor tausenden von Jahren haben hier Menschen gelebt. Noch unvorstellbarer ist, dass in dieser Gegend die Wiege der Menschheit liegt. Einer unserer ältesten Vorfahren der „Toumaï“ genannte Sahelanthropus tchadensis (der Sahel-Mensch aus dem Tschad) stammt von hier. Er lebte vor über 7,5 Millionen Jahren. Toumaï bedeutet so viel wie die „Hoffnung auf Leben“. Hätte er sich über den Namen gefreut? Was hat er gedacht, wie hat er wohl gelebt? Werden wir das je erfahren?
Oft wissen wir nicht vorher, wo wir entlang fahren sollen. Das GPS gibt die Luftlinie vor, ob der Weg befahrbar ist, müssen wir versuchen. Manchmal geht es weder vorwärts noch rückwärts. Kreativität ist gefragt! Wir bauen Brücken, um enge Stellen zu überwinden. Beim Queren von Dünen ist höchste Vorsicht geboten, damit sich das Auto nicht überschlägt. Wenn eine Achse bricht oder das Getriebe kaputt geht, ist die Expedition so gut wie vorbei. Reifenpannen sind dagegen banal.
Nach 7 Stunden Fahrt geraten wir in einen Sandsturm. Wir sind gezwungen zu stoppen und bauen unser Lager auf. Für uns ist das nichts Besonders, wir lachen und scherzen. Der Sand ist aber überall: in den Augen, Haaren und der Kleidung. Essen kann man kaum mehr. Durch den millionenfachen Beschuss der Sandkörner ist man statisch so aufgeladen, dass man jedes Mal einen heftigen Stromschlag bekommt, wenn man eine Person oder ein Fahrzeug berührt. Man traut sich kaum mehr etwas anzufassen, weil sonst die Funken fliegen.
Am nächsten Morgen: der Sturm hat nachgelassen.
6 Uhr Frühstück. Wir sitzen auf einer großen Matte, jeder hat sein eigenes Geschirr. Unser Koch hat Brot gebacken, Tee und Kaffee gekocht. Was für ein Luxus! Die Sonne kommt immer höher. Wir brechen auf – unserem Ziel entgegen.
Durchatmen! Endlich angekommen! Endlich sind wir in Ounianga! Ein blaues Paradies aus Wasser, ein paar Hütten und tausenden von Dattelpalmen taucht auf. Eine Märchenoase mitten in der Wüste. Dort, wo jede Pfütze sofort austrocknet, überleben Seen, die aus 5.000 bis 10.000 Jahre altem Regenwasser bestehen.
Die Seen sind wahrlich ein Naturwunder. Wer die Seen von Ounianga nicht kennt, kennt die Sahara nicht.
Rund um die Ounianga Seen gibt es einen schmalen fruchtbaren Streifen. Dort legen die Bewohner Gemüse- und Obstgärten an. Die wichtigste Lebensgrundlage sind aber die Datteln.
Das beschauliche Leben in der Oase unterscheidet sich stark von den rauhen Wüstenbedingungen außerhalb der Oase. Wir bekommen jedes Mal Datteln und Gemüse geschenkt. Manchmal kaufen wir ihnen auch eine Ziege ab.
Ein schönes Gefühl, alte Freunde wieder zu sehen. Seit vielen Jahren kommen wir hierher. Wir treffen die Dorfbewohner und informieren sie über unsere Forschungsvorhaben. Wir werden herzlichst empfangen, trinken gemeinsam Tee und essen leckere Dattelpaste.
Zeit, das Lager aufzubauen bevor die Nacht anbricht! Wir stapeln Kisten übereinander und bauen eine Wagenburg auf. Sie dient uns in den nächsten Wochen als Schlafplatz und schützt uns vor dem dauernden Wind. Unsere Küche bekommt einen Ehrenplatz. Wir sammeln Feuerholz und kochen.
6:00 Uhr aufstehen. Bei 5 Grad Celsius raus aus dem Schlafsack. Es ist bitterkalt. Alles muss von dem vielen Sand befreit werden. Ich packe meine Sachen zusammen: Zelt, Schlafsack, Taschentücher, Messer, Lampe, Feuerzeug ... an die 60 Kilo Gepäck sind es, die ich zum Lager zurückschleppe. Wir frühstücken alle gemeinsam. Heißer Tee und Brot. Das Brot ist voller Sand, es knirscht zwischen den Zähnen. Egal. Hauptsache es ist windstill und wir können arbeiten. Sonnenaufgang.
Auf zum See! Am Ufer bauen wir die Plattform zusammen, pumpen die Schlauchboote auf und füllen Diesel in die Motoren. Alle packen mit an. Die Plattform steht! 10 m² ist unser schwimmender Arbeitsplatz groß. Hier werden wir die nächsten Tage verbringen. Auf diesen Augenblick haben wir wochenlang gewartet.
Wir verladen das Werkzeug: Schweres Bohrgestänge, Filzstifte, Handschuhe, Notizbuch, Kamera, Messgeräte, Sonnencreme, Verpflegung, viel Trinkwasser, Folie zum Verpacken ... und fahren hinaus auf den See. Ein tolles Gefühl!
Wir stehen auf der Plattform. Es ist windstill - wir haben Glück! Ounianga gehört zu den windreichsten Gebieten der Sahara! Bei starkem Wind schaukelt die Plattform extrem. Sie wird nach oben gehoben und dann wieder tief ins Wasser gedrückt. Arbeiten ist dann unmöglich und zu gefährlich. Auch kann der Bohrkern dabei herausgerissen werden. Ähnliches ist schon einmal passiert – das Stahlseil ist gerissen und wir haben den Bohrkern verloren. Tage schweißtreibender Arbeit waren umsonst.
Für diese Expedition haben wir haben uns viel vorgenommen! Wir wollen einen 16 Meter langen Bohrkern in zehn Tagen ziehen. Wir machen uns fertig, nehmen einen Schluck Wasser und legen los. Schlag um Schlag treiben wir den Bohrkern in den Seeboden. Pro Schlag dringt der Bohrkern nur wenige Millimeter in den festen Untergrund. Der Hammer ist 30 Kilo schwer. Mindestens 300 Schläge brauchen wir für einen knappen Meter. Es ist sehr heiß, die Plattform wackelt. Das Wasser reflektiert die Sonne. 30, 40, 50 Schläge schaffen wir im Durchschnitt hintereinander. Mein Rekord: 100 Schläge! Das Team arbeitet bis zur vollkommenen Erschöpfung.
Für heute ist Schluss. Wir fahren zum Ufer. Trotz Erschöpfung müssen wir beim Aussteigen vorsichtig sein. Wenn das Boot kippt, fallen die Bohrkerne und Geräte ins Wasser. Am Ufer müssen wir die Bohrkerne unbeschadet den steilen Sandhang hinauftragen. Das Problem dabei ist: Man steigt einen Schritt hoch und rutscht gleich wieder ein Stück zurück. Das Bohrgerät schleppen wir zum nächsten Süßwassersee, um es von Salz und Schlamm zu reinigen.
Wir erfrischen uns im kühlen Wasser. Es ist herrlich! Plötzlich fallen ganze Mückenschwärme über uns her – fluchtartig müssen wir weg.
Jeder Muskel tut weh; manche haben Sonnenbrand. Jetzt entspannen, essen, lesen, Tagebuch schreiben. Unfassbar schöner Sternenhimmel. Ich schlafe immer am Boden, abgelegen vom Camp. Andere schlafen lieber beim Camp auf Liegen. Ich genieße die Ruhe, denke an zu Hause. Mit dem Satellitentelefon rufe ich kurz an. Früher, als es diese Möglichkeit noch nicht gab, konnte ich mich oft monatelang nicht zu Hause melden. Das war nicht immer einfach. Ab in den Schlafsack und schlafen! Morgen wartet ein neuer, arbeitsintensiver Tag.
Ein neuer Tag in Ounianga bricht an. Thermomatte zusammenrollen, die Luft rauspressen, Schlafsack, Moskitozelt, Thermoweste, Moskitomittel, alles was man in der Nacht gebraucht hat wird verstaut. Der gesamte Hausstand muss zusammengepackt werden. Frühstück.
Wir hämmern und bohren wieder den ganzen Tag. So geht es die nächsten Tage weiter. Nach der Expedition brauchen wir kein Fitnessstudio mehr.
Die Arbeit auf der Plattform ist abgeschlossen. Wir haben einen 16 Meter langen Bohrkern. Das hat noch niemand geschafft.
Seit heute erkunden wir die Gegend in Ounianga Serir. Dort gibt es noch Reste von Seeablagerungen. Vor rund 9.000 Jahren waren die Seen fast 80 Meter höher. Durch das Fallen des Wasserspiegels, liegen die Seeböden jetzt an der Oberfläche. Wir nehmen Proben – sie sind viel leichter zugänglich als die aus der Tiefe der Seen.
Die meisten schlafen schon. Plötzlich Lärm mitten in der Nacht und klapperndes Geschirr. Wir knipsen unsere Taschenlampen an - ein Fennek! Er frisst sich durch die Küchenkiste. Freches Kerlchen.
Wie immer mache ich noch einen Spaziergang durch die Nacht. Manchmal finde Felsbilder und prähistorische Gräber. Ich notiere alles in meinem Buch. Es ist spät! Ich folge meinem GPS zurück zu meinem Zelt. Ich schreibe mein Tagebuch und gönne mir noch ein Stück Schokolade. Tagsüber ist sie flüssig und geschmolzen aber inzwischen ist sie wieder fest geworden.
Unser Botaniker sammelt Pflanzen. Wir dagegen messen, kartieren, fotografieren und fertigen Skizzen von der Umgebung an. Wir notieren GPS-Daten von geologisch und archäologisch interessanten Stellen. Mitschriften sind wichtig um all das Material später zuordnen zu können. Es gibt noch so viel zu erforschen. Hoffentlich können wir nächstes Jahr wieder kommen.
Auch heute dokumentieren wir den ganzen Tag. Gegen Mittag: Sandsturm! Wir können nicht mehr weiterarbeiten. Schnell die Schibrille aufsetzen und ein Tuch vor den Mund. Alles befestigen und Windschutz um das Zelt montieren. Alles was nicht festgemacht ist, wird weggeweht und bleibt für immer in der Wüste verschollen. Schlafsäcke, Bücher, Zelte, habe ich schon in der Wüste wegfliegen sehen. Nachrennen ist sinnlos, die Winde sind zu stark. Selbst mit dem Sturmfeuerzeug können wir kein Feuer anzünden. Hoffentlich legt sich der Sturm bis morgen, damit wir packen können.
14 Tage Ounianga sind vorbei! Jetzt heißt es Packen und Abschied nehmen. Wir verstauen alles in unsere Jeeps und heben Kisten auf die Dächer. Die Bohrkerne sichern wir besonders gut. Wir verabschieden uns von unseren Freunden. Eine erfolgreiche und intensive Zeit liegt hinter uns und eine aufregende Rückfahrt vor uns. Wehmut ergreift mich, es gibt noch so viel zu erforschen. Doch heute freue mich auf zuhause, auf meine Familie, eine lange Dusche und ein kühles Getränk.